Rio Beni und Rio Quiquibey März 2013
Die roten Packtaschen mit Medikamenten und Instrumenten stehen abholbereit vor der Klinik. Zweimal war ich schon am Fluss, aber nichts tut sich. Es fehlt das entscheidende: Boot und Motor. Aber das wird schon… Zwei Stunden später geht es bolivianisch pünktlich los. Das Boot ist kleiner als gedacht und hat auch keine Sitze. Müssen wir eben etwas zusammen rücken auf den eilig gesammelten Holzbrettern. Antonio, Apotheker und Motorista, sitzt am Steuer. Neben Denis(Allgemeinarzt) und Roberto(Zahnarzt) sind Thomas(Medizinstudent letztes Semester aus Australien) und Derick(Notfallsanitäter aus den USA) mit an Bord. Sie arbeiten als Freiwillige für das Projekt Rio Beni. Carlos, Krankenpfleger vom Hospital Rurrenabaque, wird impfen und hat die Gratismedikamente für Kinder bis fünf Jahre dabei. Das entlastet unsere Vereinskassen ein wenig.
In der größten Mittagshitze erreichen wir Asuncion del Quiquibey. Der Rio Quiquibey hat sich in den letzten Monaten weiter in das rote Steilufer hineingefressen. Weitere Häuser sind abgestürzt. Weit und breit können wir keinen einigermaßen komfortablen Aufstieg zur Uferkante erkennen. Da wir hier übernachten, muss das ganze Boot ausgeräumt werden. 15-20 Meter Steilufer aus losem Sand. Man kommt sich vor, wie ein Hamster im Laufrad, ein Laufrad in einem Backofen, begleitet von Sandfliegen-Wolken. Jeder muss die Tortur mehrmals hinter sich bringen. Der Schweiß tropft aus den pitschnassen Haaren und sogar aus der Kleidung. Wenigstens gibt hier eine richtige Wasserleitung und am Schulgebäude sogar eine echte Dusche. Trotzdem mögen wir nicht an die Schlepperei von Morgen denken.
15.00 Uhr ist es ein klein wenig kühler und wir beginnen mit der Sprechstunde. Die Männer sind noch auf dem Feld, aber Frauen und Kinder warten bereits geduldig. Ich arbeite sozusagen als Sprechstundenhilfe für Carlos aus dem Hospital. Er ist heilfroh, den immensen Berg an Papierkram nicht alleine bewältigen zu müssen. Zunächst fragen wir jede Mutter nach dem Geburts- und Impfpass, einer entweder blauen oder rosa Klappkarte, in welcher die wichtigsten Daten der Kinder und Eltern und sämtliche Impfungen, Vitaminverabreichungen, Entwurmung und ähnliches vermerkt sein sollten. Wird geimpft, muss ich Daten von Kind und Mutter in eine extra Tabelle übertragen. Für Vitamine, Entwurmung und Nutrisation gibt’s ein weiteres Register, wo auch nochmal alles aufgeschrieben wird. Außerdem muss Carlos für alles noch mal ein Dreifachformular als Quittung ausfüllen. Dieses sollte, wenn möglich, unterschrieben werden. Dadurch entstehen immer wieder peinliche Situationen. Das Stempelkissen für den Daumenabdruck hat er leider vergessen. Alles in allem ein wahres Denkmal der Bürokratie. Aber der Lohn sind lebenswichtige Impfungen und Medikamente vom Staat. Wer nachweisen kann, dass sein Kind alle Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen hat, bekommt zudem einen staatlichen Bonus. Wegen der weiten Wege können die Menschen am Quiquibey oder Beni daran nur spärlich teilhaben. Stolz bin ich, wenn ich auf einer der Impfkarten meine eigene Handschrift erkenne. In den letzten Jahren hab ich doch so einige ausgestellt - für gerade erst geborene Säuglinge oder auch Drei- oder Vierjährige. Für die Erwachsenen haben wir die Tetanusimpfung dabei. Carlos erklärt sehr geduldig, was er ihren Kindern warum gibt oder warum eine Tetanusimpfung sinnvoll wäre. Auf der ganzen Tour lassen sich insgesamt nur drei Väter impfen. Die Angst vor Spritzen ist unglaublich. Vielleicht hängt es mit dem alten Glauben zusammen. So bedeutete im Traum von etwas gestochen zu werden, ein schlechtes Omen für die Jagd oder die Ernte. Wer mit einer Nadel spielt, droht sogar verhext zu werden. Geht es um die Impfungen der Kinder spielt das aber alles zum Glück keine Rolle. Definitiv haben wir durch die Pikserei den lautesten Arbeitsplatz.
Roberto behandelt unterstützt von Derrick, die Zahnkranken, die sich trauen. Immer häufiger schicken Eltern nun auch ihre Kinder zu ihm, während es früher wirklich nur ums Zähne ziehen ging. Am Abend nach der Sprechstunde wird er mit allen Schulkindern und den Lehrern wieder eine Zahnputzschule anhalten.
Denis und Thomas haben am meisten zu tun. Nach wie vor sind es innere und äußere Infektionen, die das Gro der auftretenden Krankheiten ausmachen und natürlich Schmerzen durch die körperlich schwere Arbeit im Feld. Wie beim letzten Mal achten sie besonders auf Leishmaniasefälle. Leider können wir die angedachten Proben wegen des Fehlens einer Chemikalie nicht haltbar machen. Das Zeug war trotz aller Bemühungen nicht rechtzeitig aufzutreiben. So was ist frustrierend! Da ich die einzige Frau im Team bin, werde ich immer wieder direkt von den Frauen angesprochen. Ein paar fragen mich tatsächlich nach Geburtenkontrolle. Ich würde ihren ausgemergelten Körpern so gern das Leben erleichtern. Gemeinsam gehen wir zu Dr. Denis. Jetzt wäre ein weiblicher Arzt oder wenigstens ein weiblicher Übersetzer ein echter Zugewinn. Ich kenne die Frau. Sie hat bereits 5 Kinder. Schon im letzten Jahr hatte sie nicht genug nahrhafte Muttermilch, geschweige denn andere Mittel, um ihr Baby ausreichend zu ernähren. Dazu müsste sie selbst erst mal ausreichend gutes Essen haben. Jetzt hat sie wieder so ein kleines wimmerndes Würmchen auf dem Arm, dem Tod näher als dem Leben. Ihr Mann ist im Feld. Nachbarn helfen beim Übersetzen. Zumindest drei schwangerschaftsfreie Monate kann Dennis ihr verschaffen – vorerst. …und dann? Mal wieder überkommt uns das Gefühl, nicht genug zu tun.
Asuncion, Charque und Torewa besuchen wir. Um die 200 kleine und große Patienten werden behandelt und/oder geimpft, ca. 120 Schulkinder bekommen neue Zahnbürsten. Diesmal haben wir für die Zahnputzschule Zahnfärbetabletten mitgebracht. Roberto demonstriert, begleitet von Gekicher, sein leider nur wenig blaues Gebiss. Er erklärt, dass nach richtigem Putzen die Zähne wieder strahlend weiß leuchten werden. Derick ruft sofort einen Wettbewerb um das blauschillerndste Gebiss aus. Unter großem Gejohle werden die „Sieger“ gemeinsam porträtiert. Definitiv wird im Anschluss wesentlich gründlicher geputzt als in den letzten Jahren. Der Zahnarzt übergibt eine Dose mit blauen Pillen und einige Tuben Zahnpasta an die Lehrer. Einmal die Woche sollen sie mit allen gemeinsam die Zähne putzen und mit Hilfe der Einfärbung kontrollieren, ob sie wirklich gründlich „schrubben“. Asuncion, Charque und Torewa haben seit Jahren funktionierende Schulen samt Lehrer. Das hat Auswirkungen auf das gesamte Dorfleben. Wie viel Schulen werden wohl am Oberlauf des Rio Quiquibey übrig geblieben sein, wie viel Lehrer sind zurückgekehrt? Was wir bisher gehört haben klingt ernüchternd – leider.
Vielen Dank an alle, die uns so fleißig mit Zahnbürsten versorgt haben! Ein Extra-Dankeschön für die Zahnfärbetabletten! Und nicht zuletzt ein riesiges Dankeschön an alle, die durch ihre Mitarbeit und finanzielle Unterstützung diese Medizinische Versorgungsfahrt überhaupt erst ermöglicht haben!
Liebe Grüße Ilka und Torsten