Medizinische Hilfe Rio Quiquibey: August 2008
Projektreise Bolivien: 14. Juli bis 4. August 2008
(Text: Peter & Bärbel Leder, Leipzig)
Bolivien, für uns ein fernes und fremdes Land. Torsten und Ilka weckten bei einem ihrer Dia-Vorträge in uns eine Neugier, die seit November 2006 nicht mehr zu bändigen war. Nicht die glanzvolle Reisewelt von namhaften Unternehmen interessierte uns, sondern wie leben die Menschen vor Ort, was ist mit Umwelt und Natur und was bedeuten Regenwald und Wildnis in Amazonien wirklich. Nach einem Informationsabend im Januar 2008 waren wir uns einig. Torsten erklärte sich bereit, uns zu begleiten. Das war die Eintrittskarte für eine außergewöhnliche Reise. Diese beginnt mit einem Flug über Brasilien (Sao Paulo) nach Bolivien (Santa Cruz, La Paz). Danach auf dem Landweg bis Rurrenabaque ins Tiefland. Uns interessierten besonders zwei Projekte des "Vereins Regenzeit e.V." - die Tierauswilderungsstation nahe des Ortes Rurre und das Medizinprojekt am Rio Quiquibey.
Am 20.07.08 war es dann soweit. Wir besuchten gemeinsam mit Carlos Espinosa, der rechten Hand von Ilka & Torsten während ihrer Abwesenheit, die Wildtierstation und durchfuhren Primärurwald, der nur in der Trockenzeit zu bewältigen ist. Torsten und Carlos erklären uns die drei Standbeine des Projektes. 1. Tierauswilderung, 2. Samengewinnung für die Wiederaufforstung, 3. Pflanzenwirtschaft.
Wir beobachten an diesem Tag sechs Arbeiter, die mit großem Aufwand mit dem Bau des Interpretationszentrums beschäftigt sind. Das Material stammt fast ausnahmslos aus dem eigenen Schutzwald. Alles wird verwendet, nichts verschwendet. Auch ein kleiner Rohrbrunnen weckt unser Interesse. Er liefert sauberes Wasser, ohne Elektrizität. Das Jaguargehege ist ungewöhnlich großzügig und mit viel Fleiß errichtet. Es bedarf unseres Erachtens jedoch einer zusätzlichen Sicherung und später einer regelmäßigen Kontrolle und Wartung. Hoffentlich trägt es dazu bei, die Tierwelt vor Ort zu bewahren. Gepflanzt wird alles, was hier der Mensch an Nahrungsmitteln benötigt. So zeigt man uns Ingwer, Papayas, Kakao, Mandarinen, Zitronen, Kaffee und noch mehr. Ich bewundere die Energie und Zuversicht, die diese Menschen vor Ort aufbringen.
Carlos ist an diesem Tag sehr aufgeregt. Warum nur? Wir sind doch keine Kontrollgruppe. Gut, dass wir Torsten an der Seite haben. Er übersetzt soweit wie möglich und wie nötig. Nach einem schmackhaften Essen und einigen sehr schönen Fotos verabschieden wir uns mit dem unbedingten Wunsch das Projekt weiterhin unterstützen zu wollen. Es ist ein Erfolg, wenn dieses sich in mehreren Jahren selbst trägt.
Am nächsten Morgen erfahren wir von Torsten - er hat Benzin organisieren können! Er hat es drauf! Alle wollten die letzten Tage und Wochen organisieren und helfen. Aber Benzin hatte keiner.
Der 2. Schwerpunkt unserer Reise konnte beginnen. Wir hatten ein Boot, Fachpersonal, medizinisches Material und das notwendiges Equipment, was für eine solche Reise unabdingbar ist. Unsere Mannschaft bestand aus zehn Personen:
- Andy und José, unsere bolivianischen Ärzte
- Julia, eine bolivianische Krankenschwester
- Tim, ein in Bolivien lebender Deutscher, der eine OP-Pfleger-Ausbildung besitzt
- Leila, eine deutsche Medizinstudentin, die schon allerhand praktische Einsätze in Peru hatte
- Mindo, ein erfahrener Ranger, der den Rio Beni und den Rio Quiguibey genau kennt
- Edson, der zweite Ranger und Indígena sollte im Verlaufe unserer Reise ebenfalls unersetzlich werden
- Torsten, der nebst Timm für dieses Projekt die Fäden in der Hand hatte und mit vornehmer Zurückhaltung die Übersicht behielt
- und schließlich wir beide, Bärbel und Peter, die das "Projekt Regenzeit e.V." unterstützen und sich so gut als möglich einbrachten.
Es war Mittwoch, der 23.07.08 und wir starteten bei bestem Wetter so gegen 9.00 Uhr. Nach nur einer Stunde hatten wir den ersten Gebirgszug durchquert und besuchten den ersten Ort San Miguel.
Alle packen zu und fix ist alles Notwendige in einem kleinen Raum (Dorfschule) untergebracht. Die Luft ist zum Schneiden, und ein Gewitter zieht über uns hinweg. Zuerst wird der kranke Lehrer versorgt, erst nach und nach kommen die Patienten. Julia und Leila übernehmen dass Wiegen, Messen und Impfen. Dr. Andy scheint leichte Krankheitsfälle zu haben, aber bei unserem Zahndoktor José geht es zur Sache. Zähne ziehen ist möglich, immerhin mit Narkosespritze. Trotzdem schlimm genug. Nur ein kleiner Junge kann nicht behandelt werden. Die Angst war zu groß vor dem Weißkittel. Natürlich erscheint hier keiner der Mediziner in der bei uns üblichen Arzttracht, aber die Zuwendung ist umso liebevoller. Es wird gelacht, geweint, geschrieen, getröstet und abgelenkt - und alles im Team. Das Notwendigste ist getan, die Praxis löst sich auf und verstaut sich im Boot. Die nächste Ansiedlung ist nicht weit.
Wieder ziehen bewaldete Hügel an uns vorbei, und der Himmel verdunkelt sich. Wie bestellt, beim Aussteigen rauscht der erste Tropenregen auf uns herab. Wir schaffen es gerade noch bis zum offenen Versammlungsraum, dann bricht das Wasser aus allen Wolken. Es ist Ruhe im Dorf, wir stehen alleine da, doch der Sonnenschein folgt schnell und die Menschen kommen. Sehr viele Kinder, Säuglinge und junge Leute. Alte Menschen und Männer sind die Ausnahme. Gestillt werden die Kleinen, auch wenn sie schon Laufen können. Raum für Privates gibt es bei den Menschen nicht, aber Pampeers der besonderen Art. Leilas kleiner Liebling ist ein drei Monate alter Junge, ein Flaschenkind. Sicher nicht die besten Voraussetzungen als Indígena. Der Kleine ist gut in der Reaktion und öffnet bei Laila auf dem Schoß alle Ventile.
Unser Boot bringt uns an diesem Tag noch bis zum Eingang des Madidi Nationalparks. Eine wundervolle von Licht durchflutete Gegend. Es wird dunkel, und wir müssen auf einer Sandbank unser Nachtquartier einrichten. Mückenalarm ist angesagt, Flussnomaden begegnen wir zum ersten Mal und Hunger haben wir auch. Jeder sucht sich eine Arbeit. Schnell sind Zelte o.ä. aufgebaut und das Essen brodelt auf dem provisorischen Herd. Es ist Dunkel und die Plagegeister verflüchten sich. Der Tag endet nun doch sehr schön.
Es ist der Morgen des 24.08.08 und Leila hat Geburtstag. Auf der Fahrt in das nächste Dorf bekommen wir das erste Reptil vor die Linse. Ein Kaiman liegt fast unsichtbar in der Morgensonne. Der Dorfälteste schießt Signalraketen in die Luft, um seine Gemeinde zusammen zu rufen. In Torewa werden wir mit einem Gemisch aus Mais und Wasser o.ä. begrüßt. Schmeckt ganz gut, die Machart der Chicha erfahren wir erst hinterher. 20 Kinder gehen hier zur Schule, die Familien wohnen drei Kilometer flussaufwärts und abwärts. Von den 400 Menschen spricht nicht jeder spanisch, Mindo übersetzt.
Unsere beiden Ärzte leisten volles Programm und das bei den Bedingungen (Moskitos, Hitze, wenig Licht, muffige Luft, kein fließend Wasser und viele Zuschauer). Zähne ziehen unter freien Himmel, daneben die Hunde, schreiende oder auch tapfere Kinder und das Gequassel der Erwachsenen als Geräuschkulisse. Es schämt sich keiner, auch nicht, wenn wir fotografieren. Auch hier ist der Lehrer wieder an der Reihe und hat zu guter Letzt einen Zahn weniger. Jeder erhält Schmerztabletten in die Hand gedrückt und ab in die Freiheit.
Eine Mutti sitzt mit ihrem Säugling stillend in einer Schulbank, Andy hört sie ab, unter beiden sitzt ein Hund. Die Menschen sind sehr verschieden. Wir beobachten Mutige, selbstlose Draufgänger und aphatisch, ängstlich, vorsichtig wirkende Männer und Frauen.
Es geschieht etwas sehr schönes, das ist neu, die Dorfältesten bedanken sich mit einer Rede. Das geht unter die Haut. Alle sind glücklich, dass sie helfen konnten und wir feiern am Abend Leilas Geburtstag.
Nach einer kurzen Nacht und einem guten Frühstück geht es heute zu einer Familie am Rio Suapi. Wir brauchen mit dem Boot nicht lange und da sehen wir sie auch schon am Ufer stehen, die ganze Sippe. Ein alter sehr kranker Mann mit seinen sechs Kindern. Die Mutter ist vor zwei Jahren gestorben. Die Kinder wirken teilnahmslos. Hier zu helfen und ein wenig Freude zu vermitteln fällt uns allen schwer - besonders Andy, unserem Arzt, der an die Grenzen seiner Möglichkeiten stößt. Torsten und Leila verteilen noch ein paar Kleidungsstücke für die Kinder und wir trennen uns schweren Herzens von diesen Menschen. An diesem späten Nachmittag entdecken wir noch Ölvögel in einer Felswand (die es nur hier gibt) und sehen unsere geliebten Aras, die nur paarweise durch die Luft fliegen.
Wir haben So. 27.07.08 und befahren den Rio Quiquibey, einen Seitenarm des Rio Beni. Die Wassertiefe ist gering, wir müssen alle paar Minuten ins Wasser springen und treideln. Mitunter stehen wir bis zu den Hüften im Wasser. Das ist aber warm, die Schuhe halten durch und die Sachen trocknen schnell am Körper. Wir durchfahren Stromschnellen die ohne genaueste Einweisung durch Edson am Bug und Mindo, unserem Künstler am Heckmotor, nicht passierbar wären.
Nach fünf Stunden Schieben und Fahren erreichen wir Corte, patschnass. Die Menschen leben in offenen Hütten, viel Unrat. Hier werden Ratata-Streifen für Bedachungen geknüpft. Ein kleiner Junge zeigt seine verbrannte, von Dreck verkrustete Hand. Ein anderer Junge, vielleicht 13 Jahre alt, hat offene weiße Lepra. Es wird behandelt, geimpft, erklärt und verordnet.
Flussaufwärts kommen wir nicht mehr weiter. Es gibt auch da noch Menschen, denen geholfen werden müsste! Aber wir müssen zurück, flussabwärts nach Bisal. Wir umfahren riesige Treibholzberge, die mitunter sehr gefährlich auf Mensch und Boot einwirken können.
Kurz vor Einbruch der Abenddämmerung erreichen wir die Siedlung. Keine Vorzeigesiedlung - wieder alle Menschen ohne Schuhe und kaum Spanisch-sprechend. Wir stehen an einer Steilböschung, die Aussicht ist filmreif. Die Menschen leben hier um zu überleben. Keinerlei Bildung, eine junge Frau kennt nicht einmal ihr Alter. Andy, unser Doktor, erklärt sehr geduldig und anschaulich das Einnehmen der Medizin (Tabletten). Der Abend auf der Sandbank ist schön, es sitzen nicht alle am Lagerfeuer, unsere beiden "Silberrücken" (Torsten & Tim) haben unterschiedliche Auffassungen.
Montag, 28.07.08: Zum Frühstück gibt es wieder selbstgeangelten Fisch von Edson. Mir geht es immer besser, an die Stiche habe ich mich inzwischen gewöhnt. Die Tour geht nun fast zu Ende. Wir besuchen die vorletzte Siedlung (Gredal). Wir laufen ein paar Meter durch Felder (Banane, Mais) und erfreuen uns eines Ortseingangsschildes einiger schöner Hütten, Fußballfeldwiese und Palmen. Hier gibt es Duschen (funktionieren nur in der Regenzeit) und eine Solaranlage. Wir finden Haustiere, eine kleine Amazone und ein junges Wildschwein. Die Menschen sind uns für die medizinische Behandlung dankbar. Am späten Nachmittag erreichen wir flussabwärts Asuncion. Es sieht nach Gewitter aus. Wir schlagen im Dorf unser Lager auf. Die Schule wird zum Spital. Alle haben viel zu tun. Leila hilft Andy. Torsten und Julja diesmal als Krankenschwester und Eheberater. Zwei junge Leute haben ein Kind. Das hat aber noch keinen Namen. José muss Zähne ziehen, und bei Andy sammeln sich immer mehr Patienten, die teilweise lange Wege hinter sich haben. Im Dorf gibt es zum Abend ein Festessen bei Mindo`s Familie. Zwei Hühner werden geschlachtet. Der Abend zieht sich bis zum frühen Morgen.
Am nächsten Tag beginnen 22 kleine Schüler pünktlich um 8.30 Uhr den Unterricht mit Fahnenappell. Wir packen zufrieden unsere Sachen und haben noch einige Stunden Bootsfahrt vor uns. Hoffentlich reicht das Benzin. Die Familie unseres Motoristas darf in das Boot zusteigen. Wir fahren ca. vier Stunden flussabwärts - der Rio Beni hat uns wieder.
Glücklich landen wir in Rurrenabaque, verabschieden uns mit Tränen in den Augen. Wir hatten sehr liebenswerte Menschen um uns.
An dieser Stelle auch ein dickes Dankeschön an alle, die uns für diese Reise durch kleine medizinische Spenden unterstützten.
Wir, das waren:
- Torsten Roder
- Tim Kalke
- Julia Mamani Larico
- José Manuel Artiera
- Romer Handy Quispe Ch.
- Leila Käflein
- Edson Rafael
- Hermindo Vies
- Bärbel Leder
- Peter Leder
Wir werden diese Projekte weiterhin unterstützen.