Tausche Uni gegen Regenwald von Franz Hermsdorf
Bolivien, ein Traum vieler Backpacker. Doch ich war nicht nur dorthin aufgebrochen, um die Sehenswürdigkeiten des Landes zu entdecken, sondern freute mich, den Verein Regenzeit e.V. bei seiner medizinischen Versorgungsarbeit zu unterstützen. Nach 5 eher theoretischen Fachsemestern in Deutschland war ich sehr gespannt, was mich im bolivianischen Regenwald erwarten würde. Unsere Versorgungsfahrt auf dem Rio Beni und weiter auf dem Rio Quiquibey war für 5 Tage geplant. Wie lange wir wirklich unterwegs sein würden, wusste zu Beginn allerdings niemand, denn vieles in Bolivien steht und fällt mit dem Wetter. Zu unserem Team gehörten neben Torsten, Ilka und Fridolin, die bolivianische Ärztin Mabel, der Zahnarzt Orlando, zwei Voluntärinnen aus den USA, unser Apotheker Antonio, Fernando und Melvin unser Capitano.Für die Jahreszeit führte der Fluss verhältnismäßig wenig Wasser und so mussten wir immer wieder ins kalte Nass springen und schieben. Melvin leistete dabei ganze Arbeit und manövrierte uns gekonnt um Sandbänke. Nach nur 2h Fahrt gab der Motor allerdings den Geist auf. Mitten im Urwald lagen wir am Flussufer und versuchten ihn wieder klar zu machen- vergebens. Unsere einzige Möglichkeit bestand darin, auf dem Fluss zurückzutreiben und in Asunción, einer größeren Communidad, nach einem Ersatzmotor zu fragen. Wir hatten Glück und weiter ging es nach diesem ersten Abenteuer. Nach 7h Fahrt erreichten wir San Bernardo, wo wir auch die Nacht verbrachten. Nachdem wir alle Medikamente und unser Gepäck die steile Flussböschung ins Dorf gebracht hatten, begannen wir noch mit der ersten Behandlung. Mabel hatte dabei die schwierigste Aufgabe. Sie musste sowohl die zwei Voluntärinnen als auch mich instruieren und dies in einem Mix aus Spanisch und Englisch. Meine Arbeit bestand hauptsächlich darin, zu erfassen, wen wir behandelten, Diagnosen zu dokumentieren und Rezepte auszustellen. Klingt banal – war aber alles andere als einfach. Die Stämme der Moseten und Tsimane sprechen größtenteils ihre indigenen Sprachen und viele besitzen keinen Ausweis oder Geburtsurkunden. Die wenigen Dorfbewohner, die Spanisch sprachen, fungierten als Übersetzer und halfen uns herauszufinden, wer welche Probleme hatte. Darüber hinaus wussten viele nicht wie alt sie sind oder wann genau sie geboren sind; in Deutschland unvorstellbar, hier Realität.
Die meisten der Kinder und Erwachsenen waren von Kopf bis Fuß von Parasiten befallen. Viele litten an Hautausschlägen, Pilzinfektion, Rückenschmerzen, Bronchitis, Gastritis oder Fieber. Daneben sahen wir gleich am ersten Tag eine Leishmaniose-Erkrankung. Die Krankheit ist besonders tückisch, da sie schleichend verläuft und unbedingt einer Behandlung bedarf. Allerdings muss man dafür nach Rurrenabque fahren - eine Fahrt, die sich viele nicht leisten können. Es war ernüchternd zu sehen, dass diesen Leuten nur schwer geholfen werden kann. Während wir untersuchten und Medikamente verschrieben, kümmerte sich Orlando um die Zahnbehandlungen. So zog er einen Zahn nach dem anderen, machte Füllungen und das trotz Moskitos und Hitze mit bester Laune. Nach den Zahnbehandlungen gab es stets noch eine Zahnputzschulung. Für viele schien es das erste Mal zu sein, dass sie eine Zahnbürste benutzten. Alle packten mit an und gemeinsam zeigten wir, wie man richtig Zähne putzt. Nach einer kurzer Aufwärmphase machte das ganze Dorf mit, allen voran die Kinder. Die nächsten Tage verliefen alle recht ähnlich. Früh morgens standen wir auf, packten unsere Sachen zusammen, beluden das Boot und fuhren zur nächsten Communidad. Dort luden wir wieder Gepäck und Medikamente aus und schleppten alles steile Flussufer hinauf. Teilweise hatte sich der Verlauf des Rio Quiquibey zum Vorjahr stark verändert und so waren manche Dörfer plötzlich unmittelbar am Flussufer, andere nun 30 min Fußmarsch entfernt. Immer wieder mussten wir durch Schlamm waten und ab und zu auch kleine Flüsse durchqueren. Bei Wasserständen über Kniehöhe halfen da auch keine Gummistiefel mehr. Trotzdem waren alle stets guter Dinge und gemeinsam trotzten wir Wasser, Schlamm, Sandfliegen und Moskitos.
Einige der Communidades verfügten über Steingebäude und Schulen. Leider mangelt es an Lehrern und so findet oft kein Unterricht statt. In San Luis Chico spendierten wir 2l Benzin zum Mähen des Volleyballplatzes. Ja, hier gab es tatsächlich ein Volleyballfeld. Am Abend spielten wir mit den Dorfbewohnern und hatten jede Menge Spaß. Sport verbindet eben überall. Später saßen wir noch bei Singani zusammen und erfuhren näheres über das Leben im Dorf. In der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag zeigte sich dann warum man in Bolivien von Regenzeit spricht. Bis zum folgenden Mittag goss es in Strömen. Das machte natürlich nicht nur das Be-und Entladen des Bootes unangenehm, auch die Flussufer wurden extrem schlammig und schmierig. Am gefährlichsten war jedoch die Fahrt auf dem Fluss. Nun gab es zwar keine Sandbänke mehr, dafür jede Menge Treibholz und gefährliche Stromschnellen. Zur Sicherheit legten alle Schwimmwesten an, aber dank Melvin musste niemand über Bord gehen. Nach 5 Tagen Regenwald, 8 Communidades und mehreren hundert Behandlungen kamen wir erschöpft aber glücklich in Rurrenabaque an. Auch wenn wir vielen Menschen helfen konnten, so bleibt doch die Frage, was nach uns dort passiert. Viele Krankheiten bedürfen einer längerfristigen Behandlung und die jährliche Medizinfahrt kann nur der Anfang sein. Jede Unterstützung ist herzlich willkommen und kann in Zukunft eine noch bessere Versorgung ermöglichen. Ich jedenfalls bin ungeheuer dankbar für die einzigartigen Erfahrungen, die ich sammeln konnte. Daher ein ganz großes Dankeschön an den Verein Regenzeit e.V., welcher mir diese einmalige Chance ermöglicht hat.
Franz