Medizintour Rio Beni Februar 2015
Nach fast 2 Tagen Dauerregen nebst Flüssen voller Treibholz haben wir Glück. Wir starten – wie immer etwas später – bei strahlendem Sonnenschein. Antonio bedient den Motor und später in den Dörfern die Apotheke. Felipe kümmert sich als Allgemeinarzt um die Patienten. Roberto leitet als Zahnarzt, wie gehabt, auch die „Zahnputzschule“. Vom Hospital in Rurrenabaque begleitet uns zum Glück wieder Roman mit einer riesigen Kühlbox voller Impfstoffe und Melvin verstärkt das Team als Puntero im Ausguck und Herr der „Küche“. Es ist also ein kleines aber bewährtes Team am Start.
Erster Halt – Embocada. Letztes Jahr hatte das Hochwasser sämtliche Häuser nieder gerissen. Die Familien lebten mit dem Wenigen was sie retten konnten unter Plastikplanen – Sprechstunde zwischen Trümmern. Verwundert sind wir schon mal, dass nicht ein einziges Boot am Ufer liegt. Nur eine Familie hat ihr Haus am alten Platz wieder aufgebaut, aber keiner ist da… Der Weg wird immer abenteuerlicher, schließlich stehen wir vor einem breiteren schlammigen Bach und nach wie vor ist nirgendwo ein Haus zu sehen, kein Hund zu hören… Soweit können wir unsere Ausrüstung ohne Hilfe eh nicht schleppen, also „Maschinen Stopp!“ – Rückzug! Etwas weiter flussaufwärts treffen wir doch noch jemanden. Embocada liegt jetzt nicht mehr an der Embocada(Mündung) des Quiquibey in den Rio Beni, erfahren wir, sondern mehr als 3 km landeinwärts auf höherem Terrain. Wir bitten Don Guillermo den anderen Bescheid zu sagen, dass wer gesundheitliche Probleme hat, heute Nachmittag bis zum Dunkelwerden oder morgen bis 10.00Uhr nach Asuncion del Quiquibey kommen kann. Das erreichen die Dörfler über einen kurzen Fußmarsch schneller, wie wir vom Flussufer aus die neue Comunidad.
Der Quiquibey ist noch immer rostbraun und randvoll. Beim Anblick von Asuncion hinter der zweiten Flussbiegung verschlägt es uns allen die Sprache. Das imposante Hochufer ragt wie gehabt rotbraun vor uns in den Himmel. Jeder, der eine unserer Medizintouren begleitet hat, erinnert sich mich Grausen an die Schinderei, wenn man den Ausrüstungsberg dort hinauf schleppen musste. Im losen Sand – zwei Schritt vor und drei zurück…. Das Erschreckende ist: Es fehlen inzwischen gut und gerne 400m Uferzone. Das überdimensionierte Fußballfeld ist komplett verschwunden, natürliche auch sämtliche Häuser rundherum. Die 2 Klassenzimmer alten Schule mit Ziegelwänden hat der Fluss sich erst letzte Woche geholt – frühmorgens um fünf und dabei mehrere Boote samt Motor unter sich begraben. Wir sind gerade heilfroh, dass wir erst diese Woche unterwegs sind, denn in genau dieser Schule durften wir immer übernachten! Wir starren ungläubig auf das nicht mehr Vorhandene. In diesem Moment beginnt eines dieser Bilderbuch-Tropengewitter. Wir flüchten in die neue Schule und beginnen mit der Sprechstunde. Sämtliche männlichen Dorfbewohner bauen gerade gemeinsam am neuen Gemeinschaftshaus. Das gesamte Dorf wird nach hinten versetzt wieder aufgebaut. Ein neuer Fußballplatz ist auch schon frei gelegt. Und lauscht man den Berichten, ist es so ein bisschen wie bei uns nach der Jahrhundertflut. Man ist näher zusammen gerückt und begeistert vom neuen Gemeinschaftsgefühl. Asuncion war das am besten organisierte Dorf am Quiquibey. Die Naturkatastrophe war/ist ein herber Rückschlag. Es wird seine Zeit dauern, bis alles wieder aufgebaut ist. Aber die gute Organisation zeigt sich auch beim Wiederaufbau. Als alle irgendwie in Sicherheit waren, wurde als erstes die Trinkwasserleitung repariert und der Schulbetrieb hat ebenfalls nur kurz ausgesetzt. Am nächsten Morgen genießt Torsten gerade seinen Morgenkaffee. Nebel liegt über dem Fluss. Wenige Meter vor ihm hat sich über Nacht wieder ein Riss gebildet und mit einem Mal geht wieder ein „Sandbrett“ ab. Nachdenklich verlassen wir Asuncion und hoffen, dass die Leute für ihren Einsatz am Ende belohnt werden!!!
Wieder auf dem Beni heißt die nächste Station Charque. Wir haben Glück! Zum einen hat der „Buschfunk“ funktioniert, zum anderen ist für den Nachmittag eine Dorfversammlung geplant. So landen gleichzeitig mit uns mehrere vollbesetzte Einbäume mit frisch „geschniegelten und gebügelten“ Familien. Gemeinsam mit der Lehrerin und Zahnarzt Roberto geht’s für alle Kinder erstmal um Zahnhygiene. Auf die Theorie folgt die Praxis. Manche Eltern scheinen sich schon diebisch auf das Ergebnis der Zahnfärbetabletten zu freuen. Zur Strafe müssen die lautesten Lacher als gute Vorbilder gleich mit ran. Blitzeblau grinst es aus allen Gesichtern. Dank fleißiger Helfer in Deutschland, z.B. aus der Montessori Schule Chemnitz, haben wir für alle ausreichend Zahnbürsten und Zahnpasta. Obwohl nur 10 Familien hier wohnen, zieht sich die Sprechstunde bis weit in den Nachmittag. Mit Engelsgeduld erklärt Antonio jedes Rezept so oft, bis er sicher ist, dass Menge und Dauer der Medikamentation wirklich richtig verstanden wurden. Ein junges Paar erkundigt sich nach Möglichkeiten der Familienplanung. Ein erster kleiner Erfolg der Aufklärungskampagnen – Klasse! Ein Vierjähriger hat sich mit der Machete einen tiefen Schnitt genau zwischen Zeige- und Mittelzeh zugefügt. Das sind mindestens 2cm! Die entzündete Wunde öffnen, reinigen, nähen und nun? Es gibt keine Schuhe. Ein dicker Verband würde zwar erstmal helfen, aber spätestens in einer Stunde wäre der vollgesogen mit Schlamm und natürlich kann die Mutter ihn nicht die ganze Zeit tragen. Also nutzt Felipe nur 2 Kompressen und Tape. Das lässt sich einfacher und schneller erneuern. Gegen Vier sitzen wir wieder im Boot. Es ist drückend heiß und feucht. Wir schwitzen schon unglaublich, während wir das Boot in Torewa entladen. Auf Schubkarren verteilt schieben wir Medikamente, med. Ausrüstung, Zelte, Essen und Kocher auf Schlammpfaden durch den Wald bis zur Dorfschule. Sobald unser Zelt steht, fällt Torsten regelrecht um. Fieber, Schüttelfrost, starke Kopf- und Gliederschmerzen – eine erste Diagnose lautet Denguefieber. Paracetamol gegen das Fieber und gegen den Schmerz, kalte Umschläge und viel trinken. Mehr kann man nicht tun. Natürlich gäbe es idealere Orte als ein stickiges Zelt. Aber Torsten friert ja eh, während er das Zelt heizt und ich die Nacht über triefe wegen der Hitze. Ab Mitternacht hört das Fieber auf zu steigen. Am Morgen sinkt es unter 38°C – aufatmen. Er fühlt sich schon besser, muss aber liegen bleiben. Es wird ein langer Tag. Leider warten die über 50 Kinder von Torewa bisher vergeblich auf neue Lehrer. Die alten sind nach den Ferien einfach nicht wieder aufgetaucht. Deshalb übergeben wir die Zahnputzutensilien zu treuen Händen an den Dorfchef. Bei so vielen Kindern macht Improvisieren einen Sinn. Erstmal müssten alle Familien da sein, dann müssten alle Kinder eine Tasse mit sauberem Wasser holen. Es gibt weder Brunnen, noch einen klaren Bach, daher hat jede Familie ihre eigene Regenwassersammelstelle….. Eh wir alle mit Wasser und Becher beisammen hätten, würden Stunden vergehen. Also konzentrieren wir uns lieber aufs Impfen und die Sprechstunde. Schwierig wird es, da viele der Patienten kein Spanisch verstehen und die Frauen dazu noch sehr schüchtern sind. Ohne Übersetzer geht nix in Torewa. Ich unterstütz Roman vom Krankenhaus in Rurre beim Impfen – genauer gesagt, beim Papierkram. Nach wie vor haben viele Babys unter zwei Jahren noch keinen Namen. Auf mein Nachfragen wegen der Vollständigkeit der Dokumente, kann es dann schon mal eine halbe Stunde dauern. Immerhin haben alle Anwesenden – einschließlich uns – glänzende Vorschläge. Ich persönlich freu mich immer, wenn aus einem Bebe(Baby) eine kleine Persönlichkeit wird.
Einige entzündete Schnittwunden müssen auch hier schmerzhaft geöffnet werden. Bereits am Vorabend hatten Nachbarn uns von 2 Familien erzählt, die fast eine dreiviertel Stunde Fußmarsch entfernt wohnen und wirklich schlimm dran sind. Mutter und jüngstes Kind der einen Familie sind fast so bleich wie Gringos(Anämie), unter-/bzw. mangelernährt….und letzte Woche aus dem Hospital in Rurrenabaque abgehauen… Es wird schwer werden, sie zu überzeugen, nochmals hinzugehen! Im staatlichen Hospital sind Behandlung und Medikamente kostenlos. Das Bett auch, aber nicht das Essen. Selbstversorger trifft auf Konsumgesellschaft – leider ohne ausreichend Geld. Na klar kann unser Verein die Verpflegung während des Aufenthaltes übernehmen – wenn wir Bescheid wissen … Es ärgert einen so sehr, wenn man erstmal nix mehr tun kann. Vielleicht hat unser Dock bei der nächsten Versorgungstour im Mai genug Überzeugungskraft!!!! Hängen bleibt auch das Bild eines Vierjährigen dessen Bauch fast zu einem Ballon aufgedunsen ist – über einen langen Zeitraum unbehandelte Parasiten und deren Folgeerkrankungen. Auch hier wäre das einzig richtige ein stationärer Aufenthalt, wo jemand kontrolliert, dass die Medikamente wirklich eingenommen werden und dazu: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!
Wir diskutieren noch, als wir längst wieder im Boot zurück nach Rurre sitzen. Fazit der Tour:
…. Patienten Allgemeinarzt, …Zahnarztpatienten, …. Impfpatienten
Vielen Dank ans Team vor Ort und an alle, die diese Tour durch Spenden unterstützt haben!!!!