Ein halbes Jahr als Ärzte arbeiten im Regenwald Boliviens! Darauf haben wir, zwei deutsche Internisten aus Berlin (31 und 37), uns sehr lange gefreut.
Überschattet war unsere Ankunft jedoch von den Nachrichten aus Rurrenabaque. Unser zukünftiges Zuhause hat am 25. Januar eine Überschwemmung erleben müssen, die so bis dahin kaum einer der Bewohner dieser Gegend gesehen hatte. Mindestens 10 Menschen haben ihr Leben verloren, meist in Schlammlawinen und Erdrutschen, Hunderte haben ihre Häuser verloren und wohnen seitdem in Notunterkünften, 100.000 Rinder haben ihr Leben in den Fluten gelassen, Ernten wurden vernichtet, halbe Dörfer vom Fluss mitgerissen und viele Menschen dieser Gegend schwer traumatisiert.
Nach dem alle Zufahrtswege nach Rurre zunächst durch Erdrutsche verschüttet waren, kam bald die Nachricht von den ersten eintreffenden LKW´s, die zumindest Lebensmittel, Bier, Cola und Rum nach Rurre brachten. Das Trinkwasser ließ leider auf sich warten, aber übrige Getränke ließen die Laune wieder etwas steigen. Vergnügte Kindern fingen Fische in den Straßenrinnen, die Wasserleitung wurde notdürftig geflickt und in großen gemeinschaftlichen Aufräumaktionen wurden die Schlammmassen aus Rurre geschippt, die obdachlosen Familien in Schulen und Kirchen untergebracht, die kleinen Tümpel mit Pestiziden gegen die Mücken besprüht und das tote Vieh mit Traktoren aus den Flüssen gezogen und verbrannt.
Bei unserem ersten Rundgang konnten wir aber auch das Ergebnis der schrecklichen Verwüstung durch die Überschwemmung und Erdrutsche begutachten. Große Teile der neu errichteten Küstenstraße am Rio Beni sind weggerissen, auf den tiefer gelegenen, flussnahen Grundstücken der ärmeren Bewohner sind die Bretterbuden teils entzwei gerissen, das übriggebliebene Hab und Gut ist auf dem Hüttendach gelagert und der Matsch steht noch kniehoch, Trauer und Fassungslosigkeit in den Gesichtern. Alle Touristen sind weg, obwohl man hier auf diese ja so angewiesen ist, brachten sie hier doch zuvor wenigstens ein bisschen mehr Wohlstand und Sorglosigkeit als in den meisten anderen Teilen Boliviens. Vereinzelt stehen noch Zelte des Cruz Rojo, die Unterkünfte auf den hügelaufwärts gelegenen Straßen.
Kurz nach unserer Ankunft, am 26.Februar beginnen wir unsere erste Bootstour, den Rio Beni hinauf zu ein paar entlegenen „Communidades“ des Biosphärenreservats Pilon Lajas, welches den Tsimane und Motsetene-Familien als neues zu Hause zugeteilt wurde.
Wir haben ein sehr nettes und lustiges Team: Ilka, die besser zupackt als jeder Mann, Roberto, der nette 26-jährige bolivianische Zahnarzt, der sich auch vor den ekligst stinkenden Mündern nicht graust, Felipe, der junge bolivianische Arzt, der in der Clinica Salud del Rio Beni arbeitet, Antonio, der immer gut gelaunte Apotheker aus der Clinica, Roman, ein erfahrener Krankenpfleger aus dem staatlichen Krankenhaus, der die Kinder auf dem Weg impft, drei Ranger, die eigentlich nur mitfahren, weil es umsonst zu essen und trinken gibt und die auch stets guter Laune sind, besonders zu fortgeschrittener Stunde, Bettina, eine 19-jährige Rettungssanitäterin aus Österreich, Fatima die kleine, runde Köchin und Nikolai und ich.
Auf unserem Weg, den Rio Beni stromaufwärts sehen wir die Verwüstungen der großen Flut. Der Fluss hat sich weit in das Land hineingefressen, Steilhänge abgetragen, hunderte riesige Bäume entwurzelt, die auf schlammigen Sandbänken gestrandet sind und Hütten und Häuser mit sich gerissen. Der Fluss ist schlammig und wild, aber die Ranger steuern uns sicher durch die Fluten. Es ist brütend heiß, die Sandfliegen piesacken uns, wir stecken in dicken Gummistiefeln und langen, Hemden und Hosen und der Schweiß läuft in Bächen. Der Zugang zu den Communidades bedeutet meist vollbepackt die sandige Ufersteilküste erklettern. Als wir oben ankommen hat manchereines Gesichtsfarbe eine pflaumenartige Note.
Die Bewohner von Emboquada, denen die Fluten alles genommen haben, campieren oben im Sand bei den Fliegen am Ufer, die Stiche nehmen sie längst nicht mehr wahr. Sie warten, dass die Schlammmassen, die in den zerstörten Hütten stehen, trocknen. Das Wasser stand bis unters Dach. Vor dem Haus trocknen die verschimmelten und zerrissenen Kleider und das wenige Hab und Gut, welches sie besitzen.
Es gibt unglaublich viele kleine Kinder, welche uns neugierig aber mit sicherem Abstand betrachten, allesamt rotznasig, barfuß und mit schimmliger Kleidung. Eine Familie hat manchmal zwölf Kinder, fast jedes Jahr ein neues, wobei leider nur ein Teil überlebt.
Wir schlagen unsere Clinica auf wackeligen Bänken auf, die die Flut überlebt haben und das ganze Dorf findet sich nach und nach mit sämtlichen Kindern ein. Die Babys, die seit dem letzten Besuch von der Stiftung vor einem Jahr geboren wurden, werden geimpft und alle Familien entwurmt. Darmparasiten beschreiben fast alle und viele leiden an Krätze, Hautpilzen von der feuchten Hitze und dem Schlamm sowie an Durchfall. Durch die Schlammlawinen wurden alle Wasserleitungen oder Wasseraufbereitungsanlagen zerstört und die meisten trinken das schlammige Flusswasser. Aber zum Glück ist kaum jemand ernsthaft erkrankt.
Unser Spanisch hapert zwar noch etwas, aber mit den meist zehnköpfigen Familien gibt es viel zu tun und daher arbeiten wir gleich mit und radebrechen uns durch die einzelnen Wehwehchen. Spanisch ist auch nicht die Muttersprache der Indianerfamilien. Sie gehören zu den Stämmen der Tsimane und Mosetene. Gerade die jungen Frauen sind sehr schüchtern und nur Ilka und mir gelingt es schließlich Ihnen ihre Probleme zu entlocken um Ihnen zu helfen. Viele junge Mädchen haben mit 17 Jahren bereits drei Kinder, leider manchmal auch von eigenen Familienmitgliedern.
Neben uns drei Ärzten leistet auch Roberto ganze Arbeit und zieht einen faulen Zahn nach dem anderen, stets bestens gelaunt. Das Highlight ist das gemeinschaftliche Zähneputzen mit den Kindern. Sie bekommen Zahnfärbetabletten und nach kurzem blicken wir in 40 blaue kleine Münder. Der Spiegel wird herumgereicht und dann mehr oder weniger enthusiastisch geputzt. Jedes Kind bekommt eine Zahnbürste geschenkt und eine kleine Tube Zahnpasta und dann packen wir auch schon wieder unsere Kisten und ziehen weiter. Wir besuchen noch Asuncion, Charque und Torewa. Die Klinik wird meist in der Schule abgehalten, der Lehrer von Torewa benachrichtigt die Dorfbewohner mit einem Jagdhorn über unsere Ankunft. Wenig später finden sich zunächst die Mütter mit schüchternen Mädchen und nach und nach auch allmählich die Jungs und Männer ein. Auf Bänken vor der Schule wird gewartet, bis jeder an der Reihe ist, was bei 14-köpfigen Familien schon mal etwas dauern kann.
Es ist brütend heiß und die kleinen Sandfliegen und Mücken fallen gnadenlos über einen her, wenn man auch nur daran denkt, mal den langen Ärmel hoch zuschieben. Eine willkommene Erfrischung in der Hitze sind die Grapefruits und Cocosnüsse, die wir zwischendurch vom Baum holen und den leckeren Saft gierig trinken.
Wir verbringen die Nächte in den Dörfern in Zelten um einen Moskitoschutz zu haben. Aufgrund der Hitze aber ohne Überzelt und so genießen wir in der Nacht einen wunderschönen Sternenhimmel mit hell leuchtender Milchstraße.
Nach drei Kliniktagen erreichen wir ein wenig erschöpft und verdreckt wieder unser neues Zu Hause: Rurrenabaque.
Erfreut sind wir über die Nachricht, dass die Trinkwasserlieferung endlich angekommen ist, dafür gibt es wieder kein fließendes Wasser und die Dusche, auf die wir uns am meisten gefreut haben, muss noch etwas warten. Aber allein die Gummistiefel loszuwerden ist schon ein Hochgefühl.
Sehr beweget von unserer ersten Reise freuen wir uns über die Eindrücke und auf die kommenden Erfahrungen.
Anna und Nikolai